Wie Real-Time-Fashion die Mode verändert

13. März 2023

Während Peek & Cloppenburg das Online-Geschäft noch immer nicht verstanden hat und ums Überleben kämpft, machen Online-Riesen wie SHEIN oder Alibaba Express mit Real-Time-Fashion enorme Profite.

Die McNeal-Kappe ist auf dem besten Weg zum Internet-Meme. Bald könnte sie wie ein Kodak T-Shirt getragen werden. Denn die Eigenmarke von Peek & Cloppenburg steht für etwas aus der Zeit Gefallenes. Auf Instagram folgen ihr aktuell 746 Personen. Würden ihr alle Verwaltungsangestellten von P&C Düsseldorf folgen, wären es wenigstens 800. Während Zalando auf seinen Kanälen eine deutlich inklusivere Auswahl an Menschen zeigt, findet sich auf dem Instagram-Account von P&C kein einziges Model abseits des „Normgewichts“. Zalando hat übrigens 1,9 Millionen Follower auf Instagram, P&C Düsseldorf 104.000. Das sagt auch schon alles über die Insolvenz von P&C Düsseldorf. Die Kaufhausmarke hat Online bis heute nicht verstanden oder wie sie Millenials, die Generation Z oder gar die Generation Alpha mit ihren Produkten erreicht.

Online-Strategie: Zu spät, zu wenig!

Die interne Fehleranalyse des P&C Managements sagt: Man habe zu viel in Logistik und Marketing des Online-Auftritts investiert. Aber nicht die Pandemie, nicht die Inflation und auch nicht das gestiegene Sparbewusstsein der Verbraucher*innen trieben sie in die Insolvenz. Sondern die verschlafene Digitalisierung und die fehlende Relevanz in der Zielgruppe. Zehn Jahre lang versuchte man nach internen Streitereien mit P&C Hamburg, die Online-Marke fashionID.com aufzubauen. P&C Nord wurde mit vangraaf.com auch kein Erfolgsfall. Der späte Start mit der gemeinsamen Domain peek-cloppenburg.de brach P&C das Genick. In der Zeit wurde Zalando zum größten Modehändler Europas mit 50 Millionen Kund*innen. Das hätte auch Peek & Cloppenburg werden können, mit der richtigen Strategie und dem internen Veränderungswillen.

Das Übel heißt stationäre Zielfixierung

„Das Luxussegment und der Discountbereich funktionieren noch, aber in der Mitte bricht das Geschäft weg“, sagt der aktuelle P&C Manager Thomas Freude selbst, um nach der Insolvenz weiter genau das anzubieten, was bisher schon nicht besonders zog: gehobene Mittelklasse. Nichts, was es nicht auch woanders in größerer Auswahl zu besseren Preisen gibt. Die fehlende Markenpositionierung gegenüber Zalando oder About You macht es nicht besser. Statt sich zu fragen, was Kund*innen 2023 wollen, insistiert P&C auf alte Muster: „Store first, statt Online first“, gibt Freude als strategische Richtung für seine 6.800 Mitarbeiter*innen nach der Insolvenz vor. Das ist nicht nur ähnlich rückwärtsgewandt wie „America first“. Es geht auch an der Tatsache vorbei, dass es immer mehr Menschen bequemer finden, online zu bestellen, und Kaufhausmarken aus den europäischen Innenstädten verschwinden.

Über Marken wird digital entschieden

Mit dem Kundenkartenprogramm „Insider“ möchte P&C Stammkunden mit passgenauen Angeboten erreichen, um sie gezielt auf Events in den Stores hinzuweisen. Dabei entscheiden sich Verbraucher*innen für eine Marke, lange bevor sie einen Laden betreten, meist über ihr Smartphone. Dieser Moment der Wahrheit ist heute fast vollständig digital. Da ist es egal, welche „Insider-Events“ in einem Store stattfinden, wenn sie nicht relevant für Verbraucher*innen sind. Das bedeutet nicht, dass Läden sinnlos sind. Sie sind sogar unerlässlich, um Kund*innen eine Marke erleben zu lassen. Denn sie müssen Materialien sehen, Kleidung fühlen und anprobieren.

Mit der Macht der Daten

Während P&C seine Online-Investments zurückfährt, zeigen die chinesischen Modeplayer SHEIN oder Alibaba Express gerade vor, wie man Kund*innen heute erreicht. Sie werten Nachfragesignale in den sozialen Medien aus und bringen die ermittelten Trends und Vorlieben ihrer Zielgruppe dann innerhalb von drei bis fünf Werktagen als Produkte auf ihre Website. Das nennt sich Real-Time-Fashion. Das können 6.000 neue Produkte täglich sein, manchmal sogar 9.000. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun. Doch gerade in der globalen Zielgruppe der 15- bis 25-Jährigen, die sich gern für den Klimaschutz stark macht, ist die Marke extrem beliebt. Wegen Preisen, die die Konkurrenz um bis zu 24 Prozent unterbieten. Greenpeace begründet das mit der massiven Ausnutzung von Steuerschlupflöchern und der Online-Fokussierung.

Mehr wert als H&M und Zara zusammen

2013 arbeiteten 50 Menschen für SHEIN. 2016 waren es bereits 10.000. 2022 setzen sie über 20 Milliarden US-Dollar um und sind mehr wert als H&M und Zara zusammen: Über 100 Milliarden US-Dollar. Während viele Fast-Fashion-Konkurrenten in der Pandemie und danach massiv verloren, wuchs die Marke unaufhörlich. Im amerikanischen Online-Modehandel etwa von 7 Prozent im Januar 2020 auf fast 30 Prozent im Juni. Das Wachstum hat einen technologischen Hintergrund: die KI-Engine von SHEIN. Sobald die Künstliche Intelligenz eine Veränderung der Nachfrage oder das Interesse an einem neuen Trend erkennt, reagiert die Lieferkette von SHEIN in Echtzeit.

So geht Real-Time-Fashion

Es ist die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Kund*innen einzugehen – und zwar blitzschnell und spottbillig. SHEIN und Alibaba Express wissen durch die Datenanalyse ihrer Zielgruppe – vor allem modeaffine Frauen zwischen 15 und 35 Jahren – genau, was sie will. Sie bieten ihnen eine Plattform, auf der sie sich inspirieren lassen können – etwa durch Live-Streams von Influencer*innen oder kreative Funktionen wie Outfit-Design-Wettbewerbe. Sie belohnen ihre Kund*innen für ihre Loyalität mit Punktesystemen oder Rabattaktionen. Laut McKinsey können Modeunternehmen, die ihre E-Commerce-Kundenerlebnisse personalisieren, ihre digitalen Verkäufe um 30 bis 50 Prozent steigern. Diese Personalisierung beherrscht gerade niemand so gut wie SHEIN.

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